Sonntag, 7. Februar 2010

Der Missbrauch der Wissenschaft durch Parteien, der Missbrauch der Parteien durch die Wissenschaft


August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, *1798; †1874
Alte Göttinger Burschenschaft 1816, Alte Bonner Burschenschaft 1819

Eine Ring-Vorlesung in der Göttinger Universität intensivierte den Dialog zwischen Wissenschaft und Politik.

Burschenschaften und Logen waren in der Vergangenheit irgendwie anderes geartet als das heutige Karriere-Denken, die materielle egoistische Einstellung, die persönliche Absicherung über Partei-Zugehörigkeit. Kommen die alten Zeiten noch einmal zurück? In anderer Form? Zu wünschen wäre es! Im folgenden sind Videos einer Ringvorlesung der Göttinger Universität eingebettet. Das Bild mit den Universitäts-Siegeln soll daran erinnern, dass Deutschland auf dem Wege zu einem modernen Staat eine interessante Geschichte hat, die mit einer völlig verkorksten "Nationalhymne" als missverstandenes Rudiment eines Burchenschaft-Liedes eines ehemaligen Göttinger Burschen-schaftlers einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Kein einziger der Professoren der Ringvorlesung machte auf die Initiativen aus der Bürgerschaft aufmerksam, das nationale Manko durch eine Nationhymne zu beheben. Entweder lesen die ehrenwerten Damen und Herren keine Quellen, sondern nur Sekundärliteratur, oder sie stützen sich ausschließlich auf Bücher und Fachzeitschriften, nicht aber auf das Internet als Publikations-Plattform. Oder aber ihnen schmeckt selbst ein Schuss Patriotismus im Nano-Bereich nicht. Wahrscheinlich haben sie Schwierigkeiten, Internet-Publikationen zu zitieren, wohingegen sie das Zitieren von Verlags-Literatur, die erschienen ist, intus haben. Immer war Wissenschaft abhängig von Verlagen. Oder sie schielen ausschließlich auf potentielle Geldgeber in der Politik.

Die Ringvorlesung in Göttingen zum Thema Politik-Beratung und Wissenschaft wurde in YouTube auch für die Öffentlichkeit doku-mentiert. Die Vorträge sind leider nicht zusammengefasst worden. Im folgenden wurden sie nach einiger Sucharbeit zusammengestellt. Meinen ersten Eindruck werde ich im nächsten Absatz darstellen. Wie immer ging ich von einer Nachricht aus. Sie betraf den Parteien-Wissenschaftler Prof. Franz Walter in Göttingen. Die Zusammenstellung ist somit eine erste Ergänzung der kleinen Film-Dokumentation mit dem Arbeits-Umfeld von Prof. Walter aus Spiegel Online; der anklickbare Link zeigt einen Film, der unten nicht eingebettet werden konnte. Wahrscheinlich wurde der Parteien-Wissenschaftler, selbst seit 30 Jahren SPD-Mitglied, wie darin zu hören ist, herausgestellt, weil Spiegel-Online in Zeiten kurz vor Wahlen auf ihn zurückgreift. Seine Artikel in Spiegel-Online hatte ich gelegentlich kritisch gesehen.

Mein erster Eindruck also: Wissenschaft ist angewiesen auf Literatur. Neue Themen werden begleitet von Materialsammlungen, auch mithilfe der Studenten des jeweiligen Instituts, von Bibliographien, vom Durcharbeiten, von Fleißarbeit, um danach eine Sprache zu generieren, die einen Wissens-Vorsprung suggeriert. Im Ergebnis haben Politik-Wissenschaft und Politik-Beratung die Misere, in der Deutschland steckt, nicht verhindern können. Prof. Walter beschreibt gut, mit welchen Schwierigkeiten Parteien zu kämpfen haben, mit welchen Vorurteilen Wissenschaft verwertet wird, nämlich selektiv nach "Brauchbarkeit", welche emotionalen Rangeleien an den Universitäten gang und gäbe sind und wie sehr sich Politik und Wissenschaft darin gleichen.

Diese Charakterisierung sollte nicht entmutigen. Beide sind aufeinander angewiesen, wie Prof. Rita Süssmuth betont. Beiden, der Wissenschaft wie der Politik, fehlt allerdings eine Prise Patriotismus. Darum auch die Wirkungslosigkeit der Wissenschaft und die Erfolglosigkeit der Politik. Die Triebfeder scheint ausnahmslos der eigene existenzielle Erfolg zu sein, die berufliche Karriere.

Lassen wir den Patriotismus beiseite. Wie ist der Internet-Schreibtisch zwischen politischer Realität und Wissenschaft zu charakterisieren? Er fängt Tages-Ereignisse ab, ist selbst erste kommentierende Literatur, muss nicht unbedingt auf ältere Literatur zurückgreifen, die es zum Tages-Geschehen so schnell noch nicht geben kann. Die Mühlen in Göttingen mahlen wesentlich langsamer, müssen erst wissenschaftliche Arbeit leisten, bevor etwas an die Öffentlichkeit herausgegeben werden kann - für Politiker, die im wesentlichen Tages-Verwertung-Politiker sind, zu langsam und behäbig.

Eine andere erste Kritik an der Ring-Vorlesung. Völlig auf der Strecke bleibt jeder universelle Humboldt'sche Geist. Prof. Walter, mitsamt seinem Institut selbst eine Parteien-Geburt der SPD, kompensierte, indem er Goethe zitierte, der Ratschläge aus guten Grund nur unter der Bedingung gab, dass sein Rat nicht angewendet werden dürfe.


DIE RINGVORLESUNG




Zentrale Ringvorlesung: Wissenschaftliche Politikberatung; Prof. Dr. Franz Walter (Göttingen), Der Gebrauch der Wissenschaft durch die Parteien, 2. Juni 2009.



dazu: Franz Walter, Im Herbst der Volksparteien?
Siehe auch hier!









Öffentliche Vorlesungsreihe: Wissenschaftliche Politikberatung; Prof. Dr. Tobias Stoll (Göttingen), 21. April.2009.




Zentrale Ringvorlesung: Wissenschaftliche Politikberatung; Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute (Hamburg) Wissensgesellschaft, Demokratie, Legitimation, 21. April 2009.




Zentrale Ringvorlesung: Wissenschaftliche Politikberatung; Prof. Dr. Andreas Busch (Göttingen) Politikwissenschaft und Praxis: Konturen eines schwierigen Verhältnisses, 28. April 2009.




Zentrale Ringvorlesung: Wissenschaftliche Politikberatung; Prof. Dr. Rita Süssmuth (Göttingen/Berlin), Politische Akzeptanz, Verunglimpfung und Notwendigkeit wissenschaftlicher Politikberatung. Das...




Zentrale Ringvorlesung: Wissenschaftliche Politikberatung; Prof. Dr. Ilona Ostner (Göttingen) Diener der Macht? Experten und Expertise im Wohlfahrtsstaat, 30. Juni 2009




Zentrale Ringvorlesung: Wissenschaftliche Politikberatung; Prof. Dr. Hans Merkens (Berlin), Bildungspolitik Handlungsdruck und wissenschaftliche Redlichkeit, 23. Juni 2009.




Zentrale Ringvorlesung: Wissenschaftliche Politikberatung; Prof. Dr. Peter Weingart (Bielefeld), Wozu Leitlinien guter wissenschaftlicher Politikberatung?, 19. Mai 2009.




Zentrale Ringvorlesung: Wissenschaftliche Politikberatung; Prof. Dr. Tobias Stoll (Göttingen), Wissenschaft, Parlament und Regierung, 5. Mai 2009.









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